|
|
|
|
02.04.2008 - Die Rache der Cocosnuss... |
|
|
Warum ein Singhalese 50 Jahre im Gefängnis vergessen wurde.
Er tippelt auf den Präsidenten zu, eingewickelt in einen Sarong, der
so weiß ist wie die Haare, die ihm noch geblieben sind. Es ist ein
großer Tag für ihn, der Präsident will ihn sehen, der Präsident will
ihm etwas zurückgeben, auch wenn es in diesem Fall kein "Zurück" mehr
gibt. Ein Kameramann ist gekommen, er lächelt. Heute wird er in den
Nachrichten zu sehen sein, er, um den sich ein halbes Jahrhundert lang
niemand gekümmert hat: Perumbada Pejjalage Jamis, Mitte achtzig, der
vergessene Gefangene.
Der Präsident überreicht ihm einen Umschlag, darin 500000 Rupien, umgerechnet 3200 Euro, 64 Euro für jedes verlorene Jahr.
Mit dem Umschlag im Gepäck wird Jamis Colombo verlassen, er wird sich
aufmachen nach Ibbagamuwa, zu einem Ort in der Mitte Sri Lankas, ioo
Kilometer von der Hauptstadt entfernt, dorthin, wo alles mit einer
Kokosnuss begann.
Jamis war 11 Jahre alt. Oder 15, er kann sich nicht genau erinnern.
Sicher ist: Er ging zur Schule, aus ihm sollte etwas werden, jedenfalls
mehr Jamis als aus seinem Vater, der Reisbauer war und nebenher
schwarzgebrannten Schnaps verkaufte. Er spielte mit Freunden, schwärmte
für Mädchen und ritt manchmal auf einem der Elefanten, die bei der
Reisernte halfen.
Bis ihm die Kokosnuss auf den Kopf fiel Rund zwei Kilo wiegt so eine
Nuss, sie hängt bis zu 25 Meter hoch, Doch Jarnis hatte Glück: Er bekam
nur Kopfschmerzen. Die blieben aber eineinhalb Jahre und waren so
stark, dass er die Schule verlassen musste. Danach half er seinem Vater
bei der Reisernte.
Irgendwann hörte das Dröhnen in seinem Kopf auf, dafür wurde Jamis
immer unruhiger. Er hielt es nicht mehr aus, länger als ein paar
Minuten an einem Platz zu sein, er musste immer laufen. Kilometer für
Kilometer wanderte er, erst durch seinen Heimatort, Ibbagamuwa, dann in
die Umgebung, über grüne Hügel, an Reisfeldern vorbei, durch Orte, die
er nicht kannte, wo ihn niemand kannte.
Jahrelang ging das so. Jamis erkundete Colombo und besuchte Jaffna, die
Tamilenstadt im Norden, in die sich heute kaum ein buddhistischer
Singhalese mehr traut. Er half den Tamilen bei der Arbeit auf den
Feldern, sie gaben ihm Essen und Trinken dafür. Nirgends blieb er
lange, die Unruhe trieb ihn voran.
Wäre er nur weitergelaufen oder irgendwo sesshaft geworden, er hätte ein Leben in Freiheit führen können. Aber er bekam Heimweh.
Jamis, mittlerweile jenseits der 30, will seinen Vater besuchen, im
August 1958, das Datum kennt er genau, es steht in seinen Akten. Er
kommt nach Ibbagamuwa, an den Ort seiner Kindheit. Männer stehen vor
dem Haus seines Vaters, mit Dolchen und Messern in ihren Händen, so
erzählt er es heute. Jamis sieht Blut auf der Treppe und, mittendrin,
seinen Vater.
Jamis wird festgenommen, man wirft ihm vor, er habe seinen Vater töten
wollen, eine Intrige, Rache, wer weiß. Er fleht die Polizisten an,
beteuertt seine Unschuld, doch niemand glaubt ihm: Sie halten ihn für
verrückt; er ist der
Junge mit der Kokosnuss, der Schwachsinnige, der immer nur wanderte und seinen Vater allein ließ.
Jamis kommt ins Gefängnis, am 31. August 1958, so steht es in den
Akten. Eine Weile bleibt er dort, eingesperrt, unruhig, ohne jemals
über seine Rechte belehrt worden zu sein, ohne jemals etwas von
Untersuchungshaft gehört zu haben. Er stellt keine Fragen, er erzählt
nur immer wieder seine Geschichte, wie er nach Hause kam, das Haus, der
Aufruhr, das Blut.
Ein paar Wochen bleibt er im Gefängnis. Dann schickt ihn das Gericht in die Psychiatrie, nach Angoda - ein Vorort von Colombo.
Die Ärzte erkennen bald, dass er gesund ist. Jamis verlässt die
Abteilung, in der alle Häftlinge untergebracht sind, er müsste jetzt
abgeholt werden, zurück ins
Gefängnis, vor einen Richter, der ihn verurteilt oder gehen lässt. Aber niemand kommt.
Jarnis wartet. Wochen. Monate. Jahre. Die Ärzte schreiben Briefe an das
Gericht, doch nichts geschieht. Jamis hört auf, die Tage zu zählen,
hilft auf den Reisfeldern, in der Küche, macht Besorgungen für die
Ärzte, er wird Teil der Klinik. Patienten raten ihm zu fliehen, doch
Jamis klammert sich an den Glauben, dass dies Teil des Karmas sei,
Strafe für etwas, das er in einem früheren Leben verbrochen habe.
Die Strafe endet, als Jamis' Brust schmerzt. Es ist Ende 2007, Jamis
ist inzwischen ein Greis, das Land, das er durchwanderte, heißt nicht
mehr Ceylon, sondern Sri Lanka, und in Ibbagamuwa werden die Reishalme
nicht mehr mit Elefanten transportiert, sondern mit Traktoren.
Jamis wird in ein Krankenhaus gebracht, die Ärzte informieren das
Gefängnis, das Gefängnis informiert die Klinik: Jamis sitzt in
Untersuchungshaft, ganz offiziell, ohne Anklage, seit 50 Jahren.
Sein Vater ist gestorben, irgendwann in den Achtzigern, seine
Verwandten haben es ihm erzählt. Er starb friedlich, an Altersschwäche.
Woher das Blut stammte, das seinen Sohn ins Gefängnis brachte, lässt
sich nicht mehr ermitteln.
Am 11. Januar 2008 darf Jamis endlich gehen. Er wird noch einmal vor
Gericht erscheinen müssen, sein Fall ist nicht abgeschlossen, Ordnung
muss sein. Der Prozess wird nicht lange dauern, die meisten Zeugen sind
längst tot.
Aus dem Spegel: EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE |
|
|
|
|
|