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05.04.2008 - Spiel gegen die Selbstausbeutung... |
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Junges Theater in Jena
In Thüringen steht es schlecht um das Theater. Eigentlich. Denn in Jena
überrascht das Theaterhaus mit einem hoch motivierten Team - trotz
geringem Gehalt.
Alles schrumpft. Alles verkleinert sich. Das Meer, dieses Versprechen
des Unendlichen, ist in dem Theatertext "Die Unmöglichkeit einer Insel
- Gran Canaria" von Charlotte Roos schon zum Pool einer Hotelanlage
verkommen. In der Uraufführung, die Ende März im Theaterhaus Jena
stattfand, ist das Meer sogar nur noch ein blaues Planschbecken,
umstellt von Liegen im Puppenstubenformat.
Und so kleingehalten wird auch die Wahrnehmung eines Urlaubers in der
Hotelanlage, dem nirgendwo die Erfahrung von Fremdheit zugestanden wird
und der nun in Monologen gegen die Verengung seiner touristisch
genormten Welt anrast. Wo er Landschaft will, stößt er an Zäune und
innerhalb ist alles vorformatierter Geschmack, westlicher Standard, ein
ununterscheidbares Einerlei. Neben dieses Kleinhalten der
Vorstellungskraft setzt der Text eine zweite Stimme, die mit der
Kalkulation ganz realer Grenzen beauftragt ist.
Zäune berechnen und Auffanglager kalkulieren, die aufhalten, wer immer
aus Afrika nach Europa will: Das ist die Aufgabe der zweiten Figur. In
Marokko und in Gran Canaria, wo Europa für den vor der Armut
Flüchtenden noch immer nicht beginnen will. Das ist eine zynische
Konstellation, die Charlotte Roos, geb. 1974 und zurzeit Studentin am
Literaturinstitut Leipzig, in undurchlässig gegeneinander abgeschottete
Textblöcke gegossen hat.
Gerade im gegenseitigen Ausschluss der beiden Perspektiven liegt ja ein
Teil des Problems des egoistisch die eigenen Interessen nie
verlassenden Denkens, aber ebenso auch ein Teil des absurden Witzes des
Stücks. Denn so prallt in der stringenten Inszenierung von Linda Best
Textkante an Textkante, und die Rede von der Langeweile in saisonal
vereinsamten Hotelanlagen rasselt in die Rechnung des Bettenbedarfs für
die, die die Flucht übers Wasser überlebt haben.
Geisterhaft sieht man das Unausgesprochene mit: Warum nicht die einen
in die Betten der anderen legen. Die Inszenierung verstärkt das Gefühl
der Horizontverengung. Von drei Seiten schließt das Publikum die kleine
Spielfläche ein.
Aus dem Mund des Kalkulators
erfährt man viele erschreckende Daten über die Chancenlosigkeit der
Einwanderungswilligen und die gewaltigen wirtschaftlichen Ressourcen,
die ihr Fernhalten verschlingt. Im Versuch, ein solches Problem auf die
Bühne zu hieven und ein verdrängtes Wissen sichtbar zu machen, ist Roos
Stück typisch für den Spielplan des diskurswilligen Theaterhauses Jena.
Der Gestus ist dabei weder anklagend noch agitatorisch, sondern mehr
ein Offenlegen von Fragen: Wie kann man sich zu diesem politischen
Geschehen ins Verhältnis setzen? Der Zugang mag unbedarft scheinen, er
ist aber auch erstaunlich ehrlich: Das kann ich wissen, das kann ich
mir vorstellen, anderes nicht.
11 neue Texte und kollektive Stückentwicklungen brachte das Theaterhaus
Jena in dieser Spielzeit heraus. Roos Inseldrama ging dabei schon ein
thematisch verwandtes Stück über die Spaltung der Welt voraus,
"Geisterschiff" von Margareth Obexer. Klüger und vielschichtiger
gebaut, kreuzt auch das "Geisterschiff" in den Gewässern, in denen in
Seenot geratene Migranten aus Afrika den Tod fanden.
Deren Drama freilich bleibt unerzählt; zum Reden auf einer schwankenden
und zunehmend von Treibgut vermüllten Bühne kommen vielmehr die, die
mit den Katastrophenthemen Karriere machen, von den Medien bis zu einer
an die Politik andockenden Philosophie und Eventkultur.
Die Inszenierung von Alice Buddenberg, noch Regiestudentin in Hamburg,
traute sich gerade auch, die bösen und politisch unkorrekten Töne
auszumalen, etwa in der Kultivierung von westlichem Unbehagen und
schlechtem Gewissen, kam aber dann von der Karikatur oft nicht mehr
schnell genug weg.
Neue Texte, junge Regisseure, Schauspieler frisch von der Schule: Das
ist in Jena nicht nur deshalb so, weil man unbedingt jung sein will in
dieser von Studenten geprägten kleinen Stadt. Sondern auch, weil das
Haus seit seiner Gründung kurz nach der Wende fast nur Anfängergehälter
zahlen kann.
Die fehlende Durchdringung unterschiedlicher Erfahrungshorizonte ist
ein Problem, nicht nur in Jena, sondern auch an anderen Stadttheatern,
die den Nachwuchs in Studio und Nischenprogrammen zusammenstecken. Um
dagegen zu halten, wünscht sich Martin Wigger, seit einer Spielzeit als
Dramaturg im Dreierteam der künstlerischen Leitung (mit Markus
Heinzelmann und Christin Bahnert), das Programm mehr wie eine
Autorenschule ausbauen zu können: weiter mit einer Konzentration auf
Texte der Gegenwart, aber mit mehr Möglichkeiten der Autorenbetreuung
und probeweisen Inszenierung.
Das Ensemble ist klein. Acht Schauspieler schultern die Textmassen,
Positionsbestimmungen und Weltreflektionen, für die überall in der
Stadt mit Plakaten an Laternenpfählen geworben wird. Von den
Schließungen und Fusionen, die viele alte Theater und größere
Dreispartenhäuser in Thüringen in den letzten Jahren bedroht haben,
blieb man ausgenommen: Jena ist sogar das einzige Haus, dessen Etat
(von Land und Stadt gezahlt) zur Spielzeit 2008/2009 erhöht wird, um
100.000 Euro. Das liegt freilich nicht nur an einer Anerkennung des
Programms, sondern auch daran, dass das Theaterhaus Jena mit 1,6
Millionen Euro Förderung einer der kleinsten Posten im Kulturhaushalt
ist.
1989 von arbeitshungrigen Schauspielabsolventen und Regisseuren
initiiert, finanzierte es sich erst über ABM-Stellen, bis 1993 eine
GmbH gegründet wurde. Niemand wird hier nach Tarif bezahlt. Andrea
Hesse, Gründungsmitglied und Gesellschafterin, macht heute die
Öffentlichkeitsarbeit des Hauses. Sie seufzt über Kompromisse, die
zwischen den Gesellschaftern und der künstlerischen Leitung
ausgehandelt werden, um den Etat einzuhalten.
Da trösten die Erfolge, wie die Einladung zu den Autorentheatertagen
am Hamburger Thalia-Theater im Mai mit Katarina Schmitts "Knock Out"
und zu dem Festival "Radikal Jung" am Münchner Volkstheater Ende April
mit "Second Life". Zumal dieses Stück von dem Regisseur Tomas Schweigen
zusammen mit dem Ensemble entwickelt wurde.
Für "Second Life"
verwandelt sich der hohe Bühnenraum in einen flachen Gemeindesaal, in
den junge Christenfreaks, verklemmt gekämmt, zu einer Aufklärungsstunde
über Ersatzleben in virtuellen Welten eingeladen haben. Was freundlich
und verdächtig konfliktfrei beginnt, offenbart erst unterschwellig,
dann offen ausbrechend eine gefährlich fundamentalistische Basis, die
immer mehr ins Wahnsinnige rutscht. Hirnforscher treten auf, die Gottes
Wohnort in der Biochemie der Gehirnlappen erklären, Creationisten
wettern gegen das Spiel in Parallelwelten, bis sie selbst zu Figuren
darin werden. Die wilde Jagd durch angesagte Diskurse steigert sich
stetig und nutzt den doppelten Boden von Wirklichkeit und Fiktion auf
dem Theater, um auch alle anderen Systeme von Glauben und Wissenschaft
ins Wackeln zu bringen.
Schon vor acht Jahren schrieb sich das Haus ins Programmbuch, die
Auseinandersetzung mit "persönlicher Orientierungs- und Ratlosigkeit"
zu suchen: "Utopien entwickeln sich aus Entbehrungen, es wird nötig
sein, den Mangel zu untersuchen." Auch die jetzige Spielzeit folgte der
Frage: "Welche Welten sind denkbar?" Tatsächlich lässt sich fast jedes
Stück zu diesem Fond in Beziehung setzen: "Second Life" mit seinen
konkurrierenden Modellen von einer neuen Schöpfung, oder "Freaks", eine extrem schrullige Außenseiterromanze, die in einem Jugendclub gespielt wird.
Hier kostet der Eintritt 5
Euro, plus 10 Cent Ökostromabgabe, und einige Zuschauer stellen am Ende
fest, dass sie in Weimar, neulich zum doppelten Preis, auch keine
besseren Schauspieler gesehen haben. "Freaks", nach einem Roman des
amerikanischen Autors Joey Goebel von Eike Hannemann als Regisseur
entwickelt, lebt von der Koketterie mit dem Dilettantismus: Denn die
Figuren bilden zusammen eine Band, deren Proben stets von persönlichen
Katastrophen verhindert werden.
Die Schauspieler also mussten in ungefähr sechs Wochen zum Beispiel
Schlagzeug lernen. Sie sehen dabei aber sehr gut aus: Als "Aurora"
etwa, die aus Furcht, nur als Sexobjekt betrachtet zu werden, in einen
Rollstuhl flüchtete, oder als "Ray", ein Iraker, der in die USA kam, um
den amerikanischen Soldaten, den er im Golfkrieg angeschossen hat, zu
finden und um Vergebung zu bitten. Natürlich ist es haarsträubend, wie
Themen hier über unglaublich konstruierte Figuren bedient werden: Und
doch glaubt man durch die groben Striche der Konstruktion auf einen
anrührenden Hunger nach Zusammenhang und Zusammenhalt zu schauen.
Vielleicht ist das tatsächlich die Stärke dieses Hauses:
Fehlstellen zu markieren. Schließlich ist das Haus, seine Architektur,
selbst so ein halbes Ding. Denn alles spielt sich auf der ehemaligen
Hinterbühne ab, dort sitzt auch das Publikum. Den ehemaligen
Zuschauerraum gibt es schon seit den Bomben des Zweiten Weltkriegs
nicht mehr. Dort ist jetzt eine freie Fläche, die nur im Sommer
bespielt wird.
aus der"taz" v. 05.04.2008 von Katrin
Fotos: Joachim |
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