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04.03.2008 Kinder der Sonne...
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von Maxim Gorki im Theaterhaus Jena neu übersetzt von Werner Buhss
Ein
neuer Mensch soll entwickelt werden. Mutig, schön und frei. Warum immer
nur in allen anderen Technologien ständiger Fortschritt? Warum nicht
auch hier? Warum bleibt Mensch auf dem Stand, den man von ihm und den
er von sich selbst kennt? Angst, Leid und Tränen! Ein Wissenschaftler
geht dieses Phänomen an. Ausgerechnet in Russland, dem Land der
schweren Seelenstimmung. Nichtsdestotrotz: Tag für Tag steht Chemiker
Protassow am Reagenzglas und entzündet den Bunsenbrenner. Synthetisches
Eiweiß soll ihm den ersten Schritt zur Lösung bringen – damit der
Mensch glücklich und strahlend werde, eben ein Kind der Sonne! Doch
die Versuche sind anstrengend, und die Zeit läuft davon. Natürlich auch
das Geld: das Haus ist bereits verkauft, das letzte Vermögen des
großbürgerlichen Haushalts gerät ins Wanken. Und um Protassow herum
lauter Menschen, die offenbar dringend eine gehörige Portion des neuen
Glücks-Gens nötig hätten. Hier kann man noch ordentlich mitfühlen und
–leiden, wir sind ja im tiefen Russland zur Zeit Gorkis: zusammen mit
Protassows Frau Jelena und seiner Schwester Lisa, dem Tierarzt
Tschepurnoi und dessen Schwester Melanja und dem Maler Wagin. Keiner
scheint sich freiwillig vom Lebensschmerz befreien zu wollen –
stattdessen taucht man ein in Nicht-Geglücktes und Verlorenes.
Natürlich liebt fast jeder den, von dem man weiß, dass er ihn bestimmt
nicht bekommen wird. Nur Protassow hält eisern fest an seiner Idee
eines rundum zufriedenen Menschen. Wann wird sein Experiment klappen?
Über
hundert Jahre alt sind Maxim Gorkis KINDER DER SONNE; geschrieben im
Vorfeld der großen russischen Revolutionen, die eine neue Zukunft
einläuten sollten. An seiner Aktualität hat Gorkis Stück nichts
eingebüßt, ganz im Gegenteil: ungeachtet des historischen Hintergrunds
geht es heute vor allem der Frage nach, wie sich Mensch und
Wissenschaft zueinander verhalten. Gibt es im Diktat von Entwicklung
und Fortschritt noch Platz für menschliche Belange? Weiß die
Wissenschaft, welche Formel den Menschen wirklich glücklicher macht?
Braucht der Mensch nicht auch den Schmerz, das heißt, einfach nur das
Menschsein?
Das Theaterhaus Jena bringt eine Neuübersetzung dieses Dramas durch den bekannten Dramatiker Werner Buhss zur Uraufführung.
Die Rollen und ihre Darsteller: Pawel Fjodorowitsch Protassow: Ralph Jung Lisa, seine Schwester: Saskia Taeger Jelena Nikolajewna, seine Frau: Renate Regel Dmitri Sergejewitsch Wagin: Gunnar Titzmann Boris Nikolajewitsch Tschepurnoi: Roman Haselbacher Melanija, seine Schwester: Zoe Hutmacher Nasar Awdejewitsch: Julian Hackenberg Jegor: Bernhard Dechant
Regie:
Markus Heinzelmann Bühne und Video: Jan Müller Kostüme: Anne
Buffetrille Musik: Vicki Schmatolla Dramaturgie: Martin Wigger Premiere: 07.02.2008
KRITIKEN:
Thüringische Landeszeitung, 09.02.2008:
Freude aus der Flasche
"Na
sdorowje!" - Zum Wohl! Immer wieder prosten die Herrschaften fiebrig
einander zu. Das Leben ist - so lange der Wodka fließt - ein Rausch,
ein Taumel, eine Polonäse, die sich um Tisch, Gartengestühl,
Sonnenschirm und Schaukel schlängelt. Flaschen klirren, Röcke fliegen.
Jauchzen, Gelächter, glücklich verzerrte Gesichter. Eine Party im
Wintergarten eröffnet das vermeintliche Sommeridyll in Tschechowscher
Manier, und nur zwei Dinge verstören: Das Stück ist gar nicht von
Tschechow, sondern von Gorki. Und der Wintergarten ist kein
Wintergarten, sondern ein Terrarium.
Gesellschaft hinter Glas
Von
zwei Seiten schaut das Publikum in diesen von Jan Müller (Ausstattung)
verglasten Kasten und sieht seltsame, traumverlorene Gestalten. Der
Chemiker Protassow träumt von einem neuen Menschengeschlecht, das er
aus dem Reagenzglas erschaffen will. Seine Frau Jelena träumt von einer
intakten Ehe. Die junge Witwe Melanija träumt davon, ihr Erbe mit
Protassow durchzubringen. Und dessen schwermütige Schwester Lisa träumt
vom Glück in einer harmonischen Gemeinschaft. Dann sind da noch der
Tierarzt Tschepurnoi und der Maler Wagin, zwei unglücklich liebende
Männer, der eine Lisa und der andere Jelena verfallen. Alle zusammen
haben sich nach draußen abgeschottet, wo die Cholera wütet und das Volk
auf der Straße rebelliert.
Maxim Gorki hat "Kinder der Sonne"
1905, zwölf Jahre vor der Oktoberrevolution, im Gefängnis geschrieben,
und es ist ein erstaunlicher, ein prophetischer Text, der das Scheitern
des Menschheitsexperiments im 20. Jahrhundert vorwegnimmt. Gorki warnte
vor der Illusion, einen "neuen", den sozialistischen Menschen züchten
zu wollen, und lenkt den Blick auf das unbewältigte alltägliche
Zusammenleben. Mag sein, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, doch
umgekehrt trifft der Satz wohl ebenfalls. Insofern ist dieses selten
aufgeführte Stück (in den 90er Jahren am Maxim-Gorki-Theater Berlin und
am Schauspielhaus Bochum) zeitlos, und es bedarf keiner, wie auch immer
gearteten Aktualisierung.
Am Theaterhaus Jena werden Gorkis
"Kinder der Sonne" zum Ereignis. Regisseur Markus Heinzelmann entschied
sich für die frisch wirkende Übersetzung von Werner Buhss. Er hat die
ausufernden Dialoge gestrafft, die Zahl der Auf- und Abgänge reduziert
und gibt den Schauspielern Zeit und Raum, den Charakter ihrer Figuren
zu entfalten. Rhythmuswechsel, derber Humor und feine Ironie sorgen,
dass es trotz drei Stunden Spieldauer niemals langweilig wird.
Vicki
Schmatollas Tuba gibt den Grundton vor: Tragikomödie. Ralph Jung
verwechselt diese eingangs mit "Dinner for One"; erst nach dem fünften
Stolperer kommt sein tolpatschiges Chemikergenie mit dem rosa
Einweckglas sicher bei Gorki an. Protassow ist ein Gutmensch und ein
Menschheitsbeglücker ohne Erbarmen für seine Nächsten. Weder hat er
einen Blick für das Unglück seiner vernachlässigten Frau (Renate
Regel), noch für die glühende Leidenschaft Melanijas, die sich mit
blankem Busen an ihn heftet. Zoe Hutmacher läuft und tanzt da zu großer
Form auf. Saskia Taeger als melancholische, bindungsscheue Lisa
schwingt sich in schwindelerregende Höhen und reißt die etwas spröde
agierenden Herren Haselbacher und Titzmann mit.
Ein uriges
Bühnenphänomen einmal mehr Bernhard Dechant, diesmal als gedemütigter,
verschrobener Schlosser Jegor. Er vertritt hier die "Unterschicht",
deren Elend drohend den Glaskasten umheult. Heinzelmann hat den
Aufstand der Hungernden und Benachteiligten aus dem Plot gestrichen und
gibt dafür dem eiskalten Spekulanten Awdejewitsch (Julian Hackenberg)
Gelegenheit, Protassow nach und nach den Besitz unterm Hintern
wegzukaufen - heutzutage wahrlich die größere Gefahr.
Leben, doch man weiß nicht wie...
Dass
mit dem gealterten Kindermädchen Antonowna eine der liebenswertesten
Figuren wegrationalisiert wurde, fällt nicht sonderlich ins Gewicht.
Heinzelmann liebt sein Ensemble und bringt es zum Tanzen. Man staunt,
wozu die zuletzt nur noch zum Illustrieren dramatischer Pamphlete
angehaltenen Mimen in der Lage sind, wenn sie sich an einem
dialektischen Text abarbeiten dürfen.
Man ahnt, dass es mit
einer Elite, die sich so weit von sich und von der Wirklichkeit
entfernt, kein glückliches Ende nimmt. "Was willst du?" fragt Jelina.
"Leben", erwidert Lisa. "Doch ich weiß nicht wie." Das weiß keiner in
diesem Stück. Also warten sie ab und trinken Tee. Und Wodka, natürlich.
Auch der geht irgendwann zur Neige. Zuletzt haben die Sonnenkinder in
ihrer Glasbox kein Wasser mehr und trocknen aus. [Frank Quilitzsch]
Ostthüringer Zeitung, 09.02.2008:
Traum vom neuen Menschen
Markus Heinzelmann inszeniert in Jena Gorkis "Kinder der Sonne"
Aus
Alt mach Neu: Um einen alten Theatertext aktuell erscheinen zu lassen,
behelfen sich Regisseure gern hipper Kostüme und Bühnenbilder. Das
Theaterhaus Jena kehrt das Konzept um. Intendant Markus Heinzelmann
wählt am Donnerstagabend eine zeitgemäße Übersetzung für Maxim Gorkis
100 Jahre alte Tragikomödie "Kinder der Sonne". Die Schauspieler lässt
er dagegen in historischen Gewändern auftreten, in aufwändig gerafften
Kleidern und eleganten Anzügen (Kostüm: Anne Buffetrille). Keine
schlechte Idee. Die Ausstattung entführt in die Zeit des russischen
Zarenreichs um 1905, während die saloppe Sprache von Übersetzer Werner
Buhss dem Stück die Spröde nimmt.
Im Mittelpunkt steht der
vernarrte Jungwissenschaftler Pawel, den Ralph Jung als drollig naiven
Optimisten gibt. Pawel hat eine Vision. Mittels der Chemie will er den
neuen Menschen erschaffen, der frei sei von Hass, Angst und Trauer.
Dafür tüftelt er tagein, tagaus in seinem Laboratorium und
vernachlässigt darüber seine Frau Lena. Die stolze Gattin (Renate
Regel) weiß sich abzulenken. Sie flirtet mit Pawels Künstlerfreund
Dmitri (Gunnar Titzmann). Ein Umstand, den wiederum Melanija (Zoe
Hutmacher) nutzen will. Sie ist Pawel verfallen. In einer großen Szene
reißt sie ihr Mieder auf und wirft sich dem Forscher an den Hals.
Vergebens.
Einzig Pawels depressive, an der Welt leidende
Schwester Lisa (Saskia Taeger) und deren zynischer Verehrer Tschepurnoi
(Roman Haselbacher) passen nicht so recht in die illustre Gesellschaft,
die sich im Garten bei Wodkapartys und Polkatanz dem Müßiggang hingibt.
Die Welt um sie herum ignorieren die Freunde. Selbst die grassierende
Cholera-Epidemie blenden sie aus.
Um die selbstgewählte
Isolation noch zu verstärken, setzt Bühnenbildner Jan Müller die
Garten-Szenerie in einen Glaskasten. Das Publikum, das von zwei Seiten
aus das Spiel verfolgt, mimt die missachtete Außenwelt.
Gorki
setzt dem Treiben schließlich ein jähes Ende, indem er Pawels Anwesen
von aufgebrachtem Mopp stürmen lässt. Regisseur Heinzelmann verkürzt
die Szene: Aus dem Off mahnt eine Stimme: "Es gärt - wegen der Cholera.
Die Penner stehen auf."
Während sich die jungen Leute in der
Sonne räkeln, erscheint Jegor, Pawels grobschlächtiger Gehilfe
(Bernhard Dechant), mit Tschepurnois Abschiedsbrief. Der hat sich das
Leben genommen, weil Lisa ihn abwies. Zuspät erkennt sie, dass auch sie
ihn liebte. Unterdessen wird die Hitze immer erbarmungsloser. Die
Gesellschaft schwitzt, stöhnt, ächzt. Die Sonnenkinder verbrennen in
der Sonne.
Heinzelmann gibt dem Stück einen eigenen, sehr
langsamen Rhythmus, der hin und wieder von schnellen Slapstick-Szenen
unterbrochen wird. Das Finale in der brütenden Hitze ist zwar viel zu
lang geraten, wirkt als poetisches Bild aber noch lange nach.
Überzeugend
präsentieren sich auch die Schauspieler, allen voran Zoe Hutmacher als
Melanija und Ralph Jung als Pawel, die dem Spiel trotz ihrer
Mammut-Monologe und -Dialoge elegante Leichtigkeit verleihen.
Gorkis
eigentlich überholte Fabel vom dekadenten, abgehobenen Bürgertum, wirkt
in Jena tatsächlich modern. Kennt doch fast jeder die Gefühle
Weltschmerz und Liebeskummer. [Ulrike Merkel]
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