Ursula Querner

 

 

10. 5. 1921 Dresden — 23. 6. 1969 Hamburg
1948 Meisterprüfung in Holzbildhauerei, Lübeck.
1946-49 Studium der Bildhauerei an der Landeskunstschule Hamburg bei Edwin Scharff. 
1950 Atelier in Hamburg. 
1952 Stipendium des Lichtwark-Preises, Hamburg. 
1959 Rompreis (Villa Massimo). 
1961 Einrichtung eines Sommer-Ateliers bei Ponza auf einer kleinen Felseninsel, 
zusammen mit dem Ehemann, dem Maler Claus Wallner. 

1964 Edwin-Scharff-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg



Ursula Querner
Narziß 1964
Bronze Höhe: 90 cm

 

 

Die Anmerkungen, die Scharf während der Korrektur machte, hat Ursula Querner 1946-1948 im Anschluß an die Korrekturstunden notiert; sie hat das aufgeschrieben, was ihr bemerkenswert erschien. So ist eine lockere Folge von authentischen, datierten Äußerungen Scharffs überliefert, die hier unverändert wiedergegeben ist.

 

 

 

 

Korrektur-Anmerkungen von Edwin Scharff
notiert von Ursula Querner

,,Wie ein Kind von der Mutter nur geleitet wird, den ersten Schritt aber allein tun muß, so kann ich Ihnen nur helfen, nur Wegweiser sein.“

,,Sie können viel zuviel, Sie müssen erst einmal alles vergessen, um auf den Boden der Kunst zu kommen.“ (3. 10. 1946)

,,Ein Kopf muß aufgebaut sein wie ein Gebäude, mit Flächen und Winkeln; eine Auffassung des dargestellten Menschen muß vorhanden sein.“ (10. 10. 1946)

,,Seit die Anatomie erfunden worden ist, hat es in der Kunst immer mehr nachgelassen. Sie müssen alles ahnen, das Wissen schadet oft.“ (12. 10. 1946)

,,Ein Porträt muß bis zum Schluß die Frische bewahren, den Duft; es muß blumig sein, sonst ekelt es einen an wie ein abgegriffenes Buch.“ (17. 10. 1946)

,,Achten Sie auf die Korrespondenz der Linien. Eine Linie erfordert immer eine Gegenlinie. Bei einer Plastik brauchen Sie gar nicht ,literarisch‘ zu werden, das Thema liegt in der Poesie der Linie beschlossen.“
,,Ein Porträtkopf muß so plastisch wirken, daß, wenn Sie ihn in die Hand nehmen und zerdrücken wollten, Sie das Gefühl hätten, er leistete inneren Widerstand.“ (24. 10. 1946>

,,Man muß zuerst das zeichnen, worauf die Figur ruht, das Tragende, Statische. Darauf baut sich jegliche Bewegung auf; auch da ergibt sich wieder die Korrespondenz, Bewegung und Gegenbewegung.“ (5. 11. 1946)

,,Ein Akt muß immer so umgeformt werden, daß er nicht mehr ,ausgezogen‘ wirkt, er muß seine Jungfräulichkeit behalten.“
,,Ein Stein ist, neu bearbeitet, eine Nebelwand, er besteht, wie Nebel, aus lauter Kristallen, und daraus müssen Sie die Gestalten erahnen, erfassen.“ (16. 11. 1946)

,,Ein Akt hat nicht nur Rundungen, sondern auch Flächen, und gerade dadurch ist er aufgebaut, hat er Spannung.“ (15. 12. 1946)
 
,,Viele geistig an sich hochstehende Menschen können oft nicht entscheiden, ob eine Arbeit gut oder schlecht ist, weil sie den Geist, der in der Natur wie in allem Geschaffenen ist, nicht erfaßt haben. Sie sind auf abstrakt geistigem Gebiet wohl durchgebildet, aber die lebendige Verbindung zum schaffenden Geist in der Natur fehlt ihnen, gerade das, was den Griechen ganz natürlich war.“
(4. 2. 1947)

,,Michelangelo wollte in seiner Jugend durch die Wirklichkeit der Körper seine Gedanken aufzeigen ...
 Am Ende seines Lebens zeigte er die Idee an und für sich‘ befreit vom Irdischen.“
,,Arbeiten Sie keine ,Studien‘, Sie werden nur verdorben dadurch; ich selbst habe Jahre gebraucht, um den ,Münchner Zopf‘ loszuwerden!“ (4. 2. 1947)

,,Bei der Plastik hängt eine Form in der anderen, wie die Glieder einer Kelle.“
(4. 2. 1947)

,,Die Form verzehrt das Stoffliche; Form muß alles werden, entstofflicht, bevor es wiedergeboren wird als Kunstwerk.“
(12. 2. 1947)

Bei Betrachtung einer Plastik:
,,Dies Mädchen ist nicht die Göttin, die es zu sein vorgibt. Es fehlt ihm der Hauch der Unnahbarkeit, dies Haltgebieten und Atemberauben, das von den wirklichen Götterbildern uns anweht; in den Gesten, den Bewegungen liegt nicht diese Größe, sie kommt aus tieferen Gründen.“
,,In Materialien, wie Holz und Terrakotta, ist immer das Atmende, Durchlässige spürbar und bestimmt die Wirkung der Plastik ebenso wie das unendlich langsam wachsende Material des Granits, das dadurch dieses Undurchdringliche, fast alpdruckhaft Monumentale an sich hat. Da sein Atem kaum noch geht, nimmt er ihn uns auch, wenn wir vor ihm stehen! Atmender Materie dürfen wir bei Patinierung und farbiger Behandlung nie die Poren verschließen, es muß alles transzendent bleiben.“ (1. 10. 1947)

,,Allein auf die Umrisse kommt es an; wenn die von jeder Ansicht leben und erfüllt sind, dann ist es auch die Plastik; darum nur wieder Umrißzeichnung, sie enthält den ganzen Körper.“
,,Sie sollen nicht die einzelnen Körperteile erfassen und nebeneinander hinzeichnen, sondern die Idee der Bewegung, die Idee des Körpers in den großen Linien begreifen, ein organisches Gebilde schaffen.“ (15. 10. 1947)

Zu einem Plastikentwurf in Blau:
,,Blau ist keine körperliche Farbe, Sie können nichts Konkretes damit darstellen. Was ist denn Blau?! Die Luft, der Äther, die Berge in der Ferne, alle nicht faßlichen Dinge. — Ich sehe nur ein Loch da, wo Sie die Plastik bezeichnet haben; denn durch das Blau ist sie weit weit entfernt von mir. Braun ist im Bild immer warm‘ es ist eine schwere Farbe, zu schwer, um augenblickliche Gedanken und Einfälle festzuhalten; es ist sinnlich, während blau unsinnlich ist.“
(15. 2. 1947)

,,Man muß, um es in einer Sache zu einer gewissen Vollkommenheit zu bringen, sich eine Zeitlang ganz damit durchdringen, sie von allen Seiten immer wieder in Angriff nehmen. So müßten Sie z. B.‘ um eine gute Vase zu bauen, lange Zeit Vasen machen. Dann bekommen Sie langsam die Idee von der Vasenform.“
Korrektur von Kruzifix-Entwürfen:
,,Ich verstehe die Art dieses realistisch ans Kreuz Geschlagenen, die ja auch die Expressionisten öfters hatten, sehr gut: das Fleisch wird ans Kreuz geschlagen, damit der Geist frei sei von allem Kreatürlichen. Für mich aber steht am Anfang der Bibel: Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild. So ist der Mensch über das Kreatürliche, das tierische Sein erhoben, und muß nicht so sein Geist auch die Form, den Körper, bilden? Nicht vegetativ geworden, nein, geformt, gebaut ist der Mensch, und nur so empfinde ich ihn. Darum sind mir die Griechen, ist mir Goethe so nahe, und die mich als Lehrer wählen, werden auch diese Auffassung haben!“
(18. 10. 1947)

,,Man muß auch Mut zum Konservativsein haben; das ist sehr schwer, und die es nicht können, wissen schon, daß sie es nicht dürfen, um ihre Schwäche nicht zu zeigen. So verlange ich von einem guten Porträt nicht nur eine gute plastische Auffassung, sondern auch äußere Ähnlichkeit und vor allem das Sichtbarwerden des Wesentlichen, das von den Menschen ausgeht“ (24.10. 1947)

Zu einem neuen Schüler:
,,Sie müssen erst eine Zeitlang hier arbeiten, um die geistige Grundhaltung, die Atmosphäre zu spüren, in der wir leben, Sie müssen viel in Museen gehen, in Theater, Konzerte, Vorträge, um zu verstehen, was nur schon die reine Form aus-drücken kann ...
Sie müssen erst einmal Angst bekommen, richtige Angst vor dem, was Sie schaffen wollen, eine Furcht, die die Ehrfurcht ist vor den einfachen Dingen, vor einer Wange, vor einem Nasenflügel, vor dem Bogen des Jochbeins. Aber auch vertrauend müssen Sie sein — Dann erst werden Sie anfangen können zu arbeiten ...
Musik können wir nur hören, wenn ein Musiker da ist, der sie komponiert — und ein Instrument, auf dem sie erklingen kann. — Wir wollen hier nichts weiter tun, als das Instrument bauen ...
Man müßte ein Museum errichten, in dem neben eine griechische Vase eine dilettantische, neben eine mykenische Keramik eine neuzeitliche gestellt würde. Dann würden die Menschen eher begreifen, was gut und schlecht ist. Das müssen Sie erst einmal verstehen lernen, diesen kaum meßbaren, mit Worten nicht zu sagenden Unterschied, diese Nuancen zwischen Vollendung und Mittelmaß ...
Was diesem Corpus vor allem fehlt, ist dies: man fühlt nicht, daß es ein Christusleib ist. Sehen Sie diesen Torso an: Noch sind Arme und Beine, die Kopfhaltung nur angedeutet — und doch: aus den Formen wächst mir der Christus entgegen; das ist, was ich das Geistige der Form nenne, das eigentliche Geheimnis des Kunstwerks ...
Man kann die Plastik ein Mosaik von Licht und Schatten nennen. Wie die Flächen dem Licht zu- oder abgewandt sind — das bildet die Form und gibt das Leben.“ (24. 10. 1947)

,,Es gibt Künstler, und es sind meist hochbegabte, die immer experimentieren müssen, immer etwas Neues, Besonderes bringen wollen und so Versuche machen bis ins Alter hinein.“
,,Der Körper ist aus kristallinen und amorphen Formen aufgebaut, und zwar richtet sich diese Struktur nach der Bestimmung der einzelnen Glieder.
So bestehen die letzten Glieder der Finger, die die feinen Tastnerven in sich tragen, aus amorphen, die anderen, die zum Umgreifen und Festhalten da sind, aus kubischen, kristallinen Farmen.“
,,Bevor ich eine Arbeit beginne, mache ich unzählig viel Zeichnungen, bis mir die Form ganz geklärt ist; man muß immer planen, ehe man beginnt zu arbeiten.“
,,Plastik ist ein Teil der Architektur, Architektur ist innere Musik.“
,,In der Zeichnung können Sie eine ,gedachte‘ Idee festhalten, sie ist nur eine Impression, wirkt auf den Beschauer nur als flüchtiger Hauch;
Plastik dagegen ist immer etwas Reales, da können, da dürfen Sie keine ,gedachten‘, keine ,literarischen‘ Themen bringen.“
,,Die Griechen, die Ägypter, ja, selbst Michelangelo haben mit Maßen gearbeitet; wer das Gegenteil sagt, ist ein Hochstapler in der Kunst.“
,,Bei meiner Plastik gibt es keinen besonderen Inhalt, der Inhalt ist die Plastik selbst.“ (28. 10. 1947)

Bei Betrachtung einer griechischen Figur:
,,Diese natürlich gewachsenen Formen, die die Gesetzmäßigkeit des Aufbaus in sich tragen, erkenne ich doch immer wieder als die erstrebenswertesten und ewig-bleibenden. Das bewußte Suchen nach neuen Formen wird leicht zum Manierismus, der zeitbedingt ist. Doch ist er oft notwendig, als eine Art Morphium, eine Medizin für manche Zeiten. Nur darf die Dosis nicht zu stark sein, damit sie die eigentliche Grundsubstanz nicht angreift. Als eine solche Medizin betrachte ich die ganze abstrakte Kunst, sie dient zur Reinigung und Gesundung.“
,,Der Grund, auf den wir aufbauen, ist die griechische Kunst, die griechische Kultur überhaupt. Es ist ein ganz organisches Weiterwachsen aus dieser, durch das ganze Mittelalter bis heute. Wird diese Entwicklung einmal abgebrochen, bedeutet es das Ende der europäischen Kultur überhaupt.“
,,Jede Kunst, wenn sie ernsthaft betrieben wird, bringt Neues hervor, selbst ein Canova‘ ein Schadow, hat in diesem Sinne etwas Neues und Bleibendes geschaffen.“ (20. 1. 1948)

,,Ein Kunstwerk ist ein Glaubensbekenntnis, aus ihm strömt die Liebe dessen, der es schuf. Es entsteht nur dann, wenn Sie tief in sich hineinlauschen, auf Ihr inneres Musizieren hören und es in Formen zum Erklingen bringen. Aus jeder noch so kleinen Arbeit spüre ich die Welt, die Sphäre des Menschen, der sie schafft, die Liebe, mit der er sich seinem Gegenstand zuneigt und der ihn ergreift.“
,,Sie müssen ein bestimmtes inneres Bild haben, ehe Sie eine Arbeit beginnen. Sonst wird es Blendwerk, sonst nützt Ihnen alles technische Können nichts; als Künstler müssen Sie immer Idealist sein!“
,,Je einfacher eine Arbeit ist, die Sie aufbauen, um so stärker muß Ihr Form-Talent sein.“
,,So klar Sie sich vorher über Ihre Arbeit werden müssen, so bewußt Sie sie bis in Einzelheiten durchdenken — das Schaffen selbst muß somnambul erfolgen.“
,,Es ist oft so, daß ein Künstler Gedanken und Aufgaben nachjagt, die seiner Natur wie ein Gift entgegen sind, und er die Dinge, die um ihn liegen und gerade seiner Hand als Kunstwerk gleichsam entgegenwachsen, unbeachtet läßt.“
,,Wenn Sie eine Idee, ein Traumbild geben wollen, so müssen Sie auch mit den Formen in dieser Welt bleiben, damit das Geistige nicht zerstört wird durch die Dichte der Darstellung. Es muß auch formal bei dem Eindruck einer Inspiration bleiben. Wenn Sie der Idee entstammende Formgebilde‘ die von dieser den Rhythmus und reinen Klang der Linien erhalten, durch naturalistische Einzelheiten in die Wirklichkeit zu ziehen versuchen, werden sie als Naturformen wie als Ideenträger gleich schlecht.“ (19. 2. 1948)

,,Ihnen ist die Konstruktion des Halses noch nicht aufgegangen — das kommt, weil Sie ihn selbst immer zugewickelt haben. Sie kommen dadurch nicht zum Bewußtsein dieses Körpergliedes. Nur, was Sie frei fühlen, können Sie auch gestalten. Darum haben die Griechen so herrliche Körper formen können, sie waren sich ihres Leibes voll bewußt, sie fühlten ihn, er war auch in den Kleidern noch frei und nackt. Das Mittelalter besaß dieses Körpergefühl nicht und konnte darum auch keinen Akt bilden.“ (5. 4. 1948)
 
,,Kunst ist Geistigkeit und sinnliches Erleben; beides muß eins werden in der Arbeit.“
,,Sie können kein Fragment schaffen; eine Plastik ist immer ein Ganzes, denn jeder einzelne Teil besteht nur in Beziehung zum anderen, und diese inneren Beziehun-gen müssen auch aus dem kleinsten Fragment noch sprechen. Nachträglich kann man eine Arbeit torsieren, um besonders gute Teile für sich wirken zu lassen; so sind Rodins, Lehmbrucks Torsen entstanden. Was von Anfang an als Torso modelliert wird, bleibt stets ein Klumpen Lehm, und die Beziehungslosigkeit bleibt immer spürbar.“
,,Es ist nicht leicht, eine Plastik zu erfinden. Maillol hat hier vielleicht das Minimum an Phantasie, was man als Bildhauer besitzen muß, natürlich keineswegs in formaler Beziehung. Rodin dagegen strömt über von Gestaltungstrieb, allein von seiner Höllenpforte könnten Generationen von Bildhauern zehren; er ist inwendig ,voller Figur“‘. (19. 4. 1948)