Edwin Scharff
Aspekte seiner Einbindung in das Kunstgefüge der Weimarer Republik

Forschungen und Berichte 1991
Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

von Angela Lammert

Beschäftigt man sich mit dem Werdegang Edwin Scharffs, stößt man auf eine Änderung seiner Formensprache, Von der in München beginnenden Auseinandersetzung mit dem Kubismus aus nähert er sich in den zwanziger Jahren der Naturform an. Von den Zeitgenos-sen wurde diese Abschwächung der stereormetrischen Artikulierung beschrieben und unterschiedlich bewertet.
Später geriet diese Formenveränderung lange Zeit in Vergessenheit.

Symptomatisch für die Rezeption seines Werkes nach 1945 ist die Publikation von Gottfried Seilo, die in den fünfzigerJahren erschien und die erste Sichtung des Werkes darstellte, an der Scharff noch selbst Anteil hatte. Als Interpretarionsmuster durchzieht die Literaturzweierlei:

1. "Naturalismus und Abstraktion" stehen von Anfang an nebeneinander. Eine Einteilung des Werkes in Stilfolgen wäre Willkür.
2. Folgerichtig werden seine Werke dann als gleichsam außerhalb der Zeit stehend interpretiert. Das zeitliche Geschehen ist in die plastische Gestalt genauso wenig hineingezogen, wie das räumliche Element. Dementsprechend werden im Abbildungsteil bei Sello, Werke der unterschiedlichsten Zeiten nebeneinandergestellt und, um eine gewisse Einheitlichkeit zu wahren, auf stark mit dem Kubismus in Verbindung stehende Werke, wie den "Schreitenden Mann" von 1918 oder das Portrait von "Anni Mewes", 1917, verzichtet.

Anni_Mewes_Vorkrieg.jpg

Scharff hat nach Aussagen Sellos Reihenfolge und Zusammenstellung der Abbildungen selbst festgelegt. Im Textteil werden die Anmerkungen zur Biographie in diesem Sinne an den Schluß angefügt.
Diese Haltung Sellos scheint mir der Verteidigung der figürlichen und damit gegenständlichen Plastik Scharffs in den fünfziger Jahren zu dienen. Er schreibt: "Die heutige Neigung, Abstraktion gegen Naturnähe und Naturalismus auszuspielen und das eine moderne, das andere rückschrittlich zu nennen, erweist sich gerade bei den Werken von Edwin Scharff als fragwürdig. Einer Schülerin gegenüber äußerte Scharff: "Man muß auch den Mut zum Konservativsein haben."

Die Autoren des Retrospektivkataloges 1987/88 zum 100. Geburtstag Scharffs polemisleren zunächst gegen diese Auffassung und beschreiben seine Plastiken in ihrer chronologlschen Abfolge.
Sich gegen die Beurteilung wendend, daß der Kubismus bei Scharff nur eine Episode war, wird sein Beitrag zum deutschen Kubismus hervorgehoben, insbesondere die relativ lange Zeit der direkten Auseinandersetzung (1912-1914) zu Beginn seines Werdegangs.



Dem folge eine Phase verstärkter Darstellung von Naturformen, ohne die Stilisierung, die sich aus dieser Erfahrung ergab, aufzugeben. Das heißt, es wird vor allem formale Kritik an der vorangehenden Scharffliteratur geübt. Trotz dieser hervorzuhebenden Herangehensweise wird bei der Aufnahme des Zeitkolorits in die Biographie leider die Zeit der Veränderung der Formen weniger ausführlich behandelt, das betrifft vor allem die Berliner Jahre Scharffs. In einer der Einladungskarten zur Ausstellung heißt es, damit ungebrochen in das gängige Rezeptionsmuster fallend, daß Scharffs Kunst eine überzeitliche, allgemeingültige und menschenwürdige Ebene auszeichnet.




Die "Hockende", 1928 von der Nationalgalerie erworben, kann als exemplarische Arbeit der Berliner Zeit des Bildhauers (1923-1933) gelten. Eine vergleichbare Bronze zu dieser Marmorarbeit, ebenfalls aus den Jahren 1926-1928, schmückt in Neu-Ulm, das seit 1978 das Edwin Scharff Museum beherbergt, den Eingangsbereich des dortigen Landratsamtes und erschien gleich einem Signet in den Pressestimmen zur genannten Ausstellung. Diese Festschreibung von Scharffs Werk als einem zeitlosen verbindet sich also in der Literatur vor allem mit seinen naturnäheren Plastiken der Berliner Zeit.
Ist aber diese scheinbar klassischere Form die zeitlosere? Wie wurde sein künstlerisches Angebot von den Zeitgenossen aufgenommen, wie bewertet und welchen Bedürfnissen kam es entgegen?
Wie war damit Gebrauch und Funktion der Plastiken und Scharffs Einbindung in die Kunstverhältnisse dieser Zeit? Fragen, die in der Scharffliteratur an dert Rand der Betrachtung gerückt zu sein scheinen.