PROBLEM
MOSLEM - ODER PROBLEM PRESSE ?
Wie
junge Migranten unter Generalverdacht gestellt wurden
Alle
Schranken fallen - besonders in Wahlkampfzeiten. Da begeben
sich Edel-Blätter schon mal auf unterstes Boulevard-Niveau. Über
die Funktions- und Wirkungsweise von Kampagnen-Journalismus in
gesellschaftspolitischen Krisenlagen, analysiert am Beispiel des
Presse-Rummels um die Münchner U-Bahn-Attacke. Eine Nachlese...
Die
sehr gute Nachricht zuerst:
Am
20. Dezember letzten Jahres betraten zirka 900 000 Bürger die
Untergrundgewölbe der Münchner U-Bahn und kamen heil und
gesund wieder raus.
Nun
die weniger gute:
Am
gleichen Tag raubten zwei Jugendliche aus dem Migranten-Milieu mit
einem Wortschatz, der über die Grußformel „Scheiß
Deutscher“ kaum hinausreichte, auf einem U-Bahnhof der
Isarmetropole einem 76-jährigen pensionierten Schuldirektor die
Tasche, nicht ohne ihn vorher vor laufenden Überwachungskameras
in "Clockwork-Orange" Manier krankenhausreif geprügelt zu haben.
Und
jetzt die schlechte:
Journalistische
Kampagnen, immerhin oft – wenn auch nicht nur – zu Recht gegen
soziale Mißstände und überbordende
Sicherheitsinteressen des Staates gerichtet, sind dabei, dieses
(noch) positive Image zu verlieren. Denn: „bad news“ aus dem
Lebensalltag werden, wie am Beispiel der Münchner U-Bahn-Täter
exemplarisch zu sehen, zunehmend – auch in Medien mit traditionell
seriösem Ruf – nicht mehr sachlich und kritisch, sondern
skandalisierend und obskurantistisch interpretiert. Um abzulenken von
den Hauptursachen existentiell bedrohlicher Tatbestände in der
Gesellschaft, wird die Jagd auf jene Randgruppen und Minderheiten
eröffnet, die sich risikolos schmähen und diskriminieren
lassen.
Frontreporter
am Kampfplatz U-Bahn
Wie
weit dieser alarmierende Prozeß fortgeschritten ist, belegen
die Ereignisse der letzten Wochen: Obwohl die Täter des
Raubüberfalls innert Stunden ermittelt und verhaftet werden
konnten, diente der Vorfall den tagesaktuellen Nachrichtenmedien als
Startschuss und Treibmittel, um ein permanentes Bedrohungsszenario
durch angeblichen Ausländerterror in Deutschland zu suggerieren.
Funk, Fernsehen und (zunächst) Boulevardblätter überboten
sich, die Gemeingefährlichkeit nomadisierender Jugend-Cliquen
ausländischer Abstammung in den düstersten Farben zu
zeichnen. Tagelang zierten Vorstrafenregister der Münchner
Gewalttäter die Seiten und die via Überwachungskamera
aufgezeichnete Prügel-Szene wurde im Fernsehen so oft wiederholt
wie kein anderer News-Streifen seit dem Einsturz des World Trade
Center. Hinzu kamen ständig neue Details aus der „Kampfzone“
im Untergrund. Frontreporter – allen voran der unvermeidliche
„Bild“-Kolumnist Franz Josef Wagner – wagten sich in die
U-Bahn-Höllen der Republik. Was sie dabei zutage förderten
und oft per plakativen Aufmachern Käufern wie Nichtkäufern
verkündeten (ihre Titel-Seiten wirken im öffentlichen Raum
wie flächendeckend platzierte Mini-Litfaßsäulen), war
an polemischer Deutlichkeit kaum noch zu überbieten: „Schon
wieder! Brutale Tritte in der U-Bahn“ – „Irre! Asylrecht
schützt U-Bahn-Schläger!“ – „Udo Jürgens:
Kriminelle Ausländer haben hier nichts zu suchen“.
Doch
das war noch nicht alles. Als klar wurde, daß Hessens
Regierungschef Roland Koch den Münchner U-Bahn-Raubüberfall
im Landes-Wahlkampf zur Munitionierung seiner Forderungen nach
Gesetzes-Verschärfungen und Drillcamps für jugendliche
Gewalttäter nutzen würde, sahen sich auch unsere
„Qualitätsmedien“ in der Pflicht zu erörtern, welche
Bedeutung die Gewalttat zweier durchgeknallter Jugendlicher in
Münchens U-Bahn für die Sicherheitslage der Nation hat.
Während liberale Blätter wie üblich in Defensivhaltung
zur Nüchternheit mahnten und vor allem die Süddeutsche
Zeitung (SZ) Kochs Vorstoß als durchsichtige
Wahlkampf-Spekulation zu brandmarken suchte, ging die konservativ
orientierte Edel-Publizistik voll in die Offensive. Gleich den
Unions-Parteien sah sie wie immer, wenn es um Themen der inneren
Sicherheit geht, den Republik-Frieden schwerst bedroht. Und mühte
sich auf ihren Meinungsseiten, es den Unterhaltungsblättern auf
dem Boulevard mit ihrer Panikmache nachzutun. Der einzige
Unterschied: Wurde dort die polemische Botschaft in drei bis fünf
Worte und blutroten Fettdruck gefasst, kam sie hier in diskretem
Schwarz als raffiniert durchräsonierter Spaltentext. Dabei
zeigte sich wieder einmal, daß dünne Quellenlage auch in
der Oberliga des Mediengewerbes heute kein Hinderungsgrund mehr ist,
mit politischem Dynamit zu zündeln.
Vandalensturm
– Notruf aus der FAZ
Reichlich
Proben für das Geschick, bei Bedarf Ängste und Vorurteile
zu schüren, lieferte dabei die Frankfurter Allgemeine Zeitung
(FAZ), das konservative Kopfblatt der Nation. Zwei Beispiele mögen
das belegen: Als Koch immer öfter vorgehalten wird, seine
Ab-in-den-Knast-Rufe seien schon deshalb unseriös, weil sich so
an den Folgen verfehlter Integrationspolitik absolut nichts ändere,
gibt ihm der FAZ-Mann fürs Feinsinnig-Grobe, Innenpolitik-Chef
Stefan Dietrich, Flankenschutz. Wie üblich mit Umsicht und
rhetorischer Finesse. Was heißt: Er nimmt die Kritik an Koch
her, um nicht dem Hessen-Politiker, sondern dessen Gegnern eine
deftige Lektion darin zu erteilen, was er offenbar unter Demokratie
versteht: Die Koch-Kritiker mögen bedenken, so empört er
sich, daß jeder Politiker im Wahlkampf das Recht habe, zu
sagen, „Was die Leute bewegt“ (so der Titel seines
Aufmacher-Kommentars am 3. 1. 2008). Und sekundiert Koch zugleich
mit einer Lageeinschätzung, die bürgerkriegsartige Zustände
heraufbeschwört und in „Bild“ nicht besser hätte
formuliert werden können. O-Ton Dietrich: „Großstadtbewohner,
zumal solche, die die öffentlichen Nahverkehrsmittel benutzen,
erleben das aggressive Auftreten jugendlicher Schläger und
Vandalen beinahe täglich. Unübersehbar sind die Spuren der
Zerstörung, die sie überall hinterlassen.“ Doch
mit dem Szenario vom Vandalensturm, der unsere Städte schleift,
begnügt er sich nicht. Um glaubhaft zu machen, daß der
Bürger quasi schutzlos marodierendem Ausländer-Nachwuchs
ausgeliefert sei, zieht er nun den Münchner „Rentner“ in
seine Betrachtung ein, der in der U-Bahn „fast zu Tode geprügelt
wurde“. Als „Meinungsbildner“ für die gebildeten Stände
fokussiert er sich in Analyse-Attitüde auf die Verhaltensweise
des Opfers im Vorfeld der Tat. Wie bekannt, hatte dieser erfolglos
versucht, die im U-Bahnwagen rauchenden Jugendlichen zur Ordnung zu
rufen. Und sich damit zum Ziel ihrer nachfolgenden Spuck-, Tret- und
Raubattacke gemacht. Woraus sich, will Dietrich uns glauben lassen,
nur eine Lehre ziehen läßt: „Die
schauderhafte Prügelszene (zeigt), was Leuten blüht, die
bei solchen Begegnungen `Zivilcourage` an den Tag legen“.
Und fährt mit Hinweis auf das Risiko, unbotmäßige
Jugendliche zu ermahnen, zu allem Überfluß fort:
„Überall, wo kein Uniformierter in Sichtweite ist, geschieht
vieles ungestraft, was das Rechtsempfinden der Bürger zutiefst
verletzt“. Kurz:
So
unverblümt hat schon lange kein Leitartikler mehr versucht, der
bedrängten deutschen Philister-Seele, die ja schon immer wußte,
daß die Hölle stets die anderen sind, das CDU- und
Koch-Rezept als Alheilmittel schmackhaft zu machen: Will heißen:
Noch mehr Überwachung, noch mehr Präventiv-Maßnahmen
nach Schäuble-Art und noch mehr Polizeipräsenz im Alltag
... Wobei der Leser sich nach all dem Greuel-Rummel fragt, wie es
kommt, daß die Mehrzahl der Bürger dennoch augenscheinlich
glaubt, in U-Bahnen auf Schutzhelm und Panzerweste verzichten zu
können.
Eine
Frage, mit der sich ein FAZ-Leitartikler nicht abzuplagen braucht.
Schon gar nicht, wenn er zwar Bedenken über die „verfehlte
Integrationspolitik“ anklingen läßt, dies aber in einem
Gestus, der an einen stramm stehenden, salutierenden Parteisoldaten
erinnert. Als Kommentator, der sich laut Selbstauskunft nicht der
„Informationspflicht“, sondern der „Meinungsbildung“
verpflichtet sieht, erlaubt er sich eben, Einzelfälle zur
National-Katastrophe hochzukochen und seinem Landesherrn zu
applaudieren, wenn dieser das Gleiche im Wahlkampf tut. Denn mißt
man die hier im Dienst der „Meinungsbildung“ entfaltete
Bedrohungs-Rhetorik an den real erfassbaren Gefahren im öffentlichen
Nahverkehr – und das war Ausgangs- wie Angelpunkt der Betrachtung –
so ist sie als Bildungsgut wertlos. Jede ernstzunehmende
Risiko-Analyse weist nach, daß die Aussicht des Bürgers,
durch Gewalttäter gleich welcher Herkunft in U-Bahnen zu Schaden
zu kommen, trotz verabscheuungswürdiger Einzelfälle
statistisch gesehen nahe Null liegt.
Panik-Geschwurbel
contra Aufklärung
Heißt:
Eine U-Bahn-Fahrt dürfte die voraussichtliche Lebensdauer eines
Bürgers kaum mehr verkürzen als etwa der Umstand, als
Linkshänder geboren zu sein. Woraus folgt: Das am Einzelfall
entfaltete Panik-Geschwurbel hat nichts mit irgend einer Art von
Aufklärung über Gefährdungspotentiale im öffentlichen
Raum zu tun. Sondern ist clevere Propaganda für ein politisches
Programm, sonst nichts.
Nun
war Dietrich in der FAZ beileibe nicht der einzige, der sich in der
laufenden Medien-Debatte zum Thema Jugendgewalt und
Ausländerkriminalität durch Panikmache profilierte. Andere
taten es ihm nach. Während Dietrich jedoch über alltägliche
Ärgernisse und Belästigungen weit unterhalb jeden
Polizeiberichts fabuliert und dann zu angstmachenden, etwa durch
„Zivilcourage“ hervorgerufenen kriminellen Gewalttaten springt,
um die beiden Sphären im Kopf des Lesers gefühlsmäßig
zu verschweißen, ging seine Kollegin, Feuilleton-Redakteurin
Regina Mönch umgekehrt vor. Wie und mit welchem Ergebnis, ließ
sich anhand ihres Leitartikels unter dem Titel „Falsche Toleranz“
am 15. 1. 2008 bewundern. Dabei muß man einräumen, daß
die Arbeit im Gegensatz zu der Dietrichs beim ersten Blick mit ihren
diversen Verweisen auf Kriminalgerichtsakten und Statistiken geradezu
imponierte. Erweckte die Bezugnahme auf seriöses Quellenmaterial
zu jugendlichen „Intensivtätern“ in „Ausländervierteln“
Berlins mit hauptsächlich arabisch- und türkischstämmigen
Migrantenfamilien doch die Erwartung, daß hier journalistisch
sauber recherchiert wurde. Und nicht nur jede Menge Akten gewälzt,
sondern auch jene Orte und ihre Bewohner gründlich in
Augenschein genommen wurden, wo bekanntermaßen Gewaltexzesse
Jugendlicher mehr als andernorts zum Ausbruch kommen.
Also
beugte man sich interessiert über den ungewöhnlich langen
und prominent auf Seite 1 platzierten Kommentar, hoffend, jemand
würde nun endlich mal die ausufernde „Toleranz“ geißeln,
die Staat wie Mehrheitsgesellschaft gegenüber den sozialen
Ursachen üben, die zur Gewaltbildung führen. Denn bei allem
Abscheu vor U-Bahn-, Straßen- und Schulhof-Attacken: Wer geht
der Lebenswirklichkeit Jugendlicher in unseren „Ausländervierteln“
auf den Grund – und gibt ihr publizistischen Ausdruck? Einer
Lebenswirklichkeit, die meist darin besteht, bildungs-, arbeits- und
hoffnungslos vor einer Glotze zu sitzen, die Jugendlichen ebenso
grenzenlosen wie für sie unerreichbaren Wohlstand und Reichtum
zeigt. Und verirren sie sich aus ihren Reservaten wie Wedding oder
Moabit ins schnieke Ku'Damm-Milieu, geht’s ihnen genau so. Nicht
umsonst kursiert unter Berliner Kids der Spruch: „Du kannst mit der
U-Bahn hinfahren, wohin du willst – du kommst immer in die
Scheiße“.
Leider
hat man das gleiche Gefühl, wenn man sich auf die Tour durch
Regina Mönchs Text begibt: Es stinkt einem gewaltig. Warum? Was
zunächst oberflächlich wirkte wie eine ernsthafte Analyse
der Hintergründe von Gewalt, entpuppt sich als düster-dumpfes
Geraune, mit dem eine ganze Bevölkerungsgruppe stigmatisiert
wird, so der Eindruck des Lesers. Kostprobe: „Hier
eskaliert ein Phänomen, dem allein mit dem Jugendstrafrecht oder
einer Debatte darüber nicht beizukommen ist. Denn die
Intensivtäter bilden nur die Spitze des Eisbergs. Die Gewalt
gedeiht im Milieu darunter“. Um
dem Unterwasserteil des „Eisbergs“, also dem bislang
gesetzeskonform lebenden Teil des „Milieus“ dennoch
„beizukommen“, geht Mönch auf Tauchstation, mit der
Absicht, endlich „die Kollisionen
der zivilen Gesellschaft mit dessen (des Eisbergs, d.Red.) weniger
sichtbaren Teilen“ erkennbar zu
machen. Und was wird da unten sichtbar?, fragt sich der Leser
gespannt. Kommt sie jetzt etwa doch auf des Pudels Kern, also die
miesen Wohn- Arbeits- und Lebensverhältnisse im „Milieu“?
Verlangt sie von der „Zivilgesellschaft“ Regelungen, die der
Existenz- und Chancengleichheit dienen, wie etwa Sprachförderung,
durchlässigere Bildungseinrichtungen, Ausbildungsplätze?
Aber nein. Frau Mönch ortet verborgene, aber umso bedrohlichere
Crash-Gefahr in der Erziehungskultur und Religion der Muslime... Nur
„Spezialisten“,
raunt sie, nehmen wahr, daß es sich hier „um
ein Milieu handelt, wo die Gewalt gedeiht und wo vor allem mit Gewalt
erzogen wird; wo muslimisch-archaische Tradition und Kultur allen
Integrationsbemühungen zuwiderlaufen. Es ist ein Milieu mit
Müttern ohne Recht, mit Vätern, die sich Respekt durch
Schläge verschaffen, das die Deutschen als ungläubig und
dekadent verachtet und die Resozialisierung mißratener Söhne
für eine Bringepflicht der Mehrheitsgesellschaft hält.“
Zwietracht
säen im Namen der Zivilgesellschaft
Immerhin,
mag man sagen, ist der Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Gewalt
in der Familie und jugendlicher Delinquenz im öffentlichen Raum
wichtig und richtig. Nur: Solche Verhaltensmuster auf
„muslimisch-archaische Tradition und Kultur“ zu beschränken
– das ist schlicht unverantwortlich. Ein paar Beispiele: Erst seit
dem Jahr 2000 haben etwa Kinder bei uns ein gesetzlich verbrieftes
Recht auf gewaltfreie Erziehung. Im christlich-religiös
geprägten „Bibelgürtel“ der USA sind Prügelstrafen
im Elternhaus wie auch an Schulen bis heute gang und gäbe.
Großbritannien, Portugal, Kanada – alles
„Zivilgesellschaften“, die sich nicht dazu durchringen konnten,
das elterliche Züchtigungsrecht, das in Deutschland nur dank der
68er-Bewegung geächtet wurde, gesetzlich zu verbieten.
Doch
trotz dieser Sachlage und ungeachtet der sich häufenden
Meldungen über in deutschen Familien zu Tode geprügelten
Kindern schwadroniert Mönch im Namen der „Zivilgesellschaft“
munter weiter. Und fragt besorgt, wie die „muslimisch-archaische
Tradition und Kultur“ auf einen Kurs zu bringen ist, der mit dem
(natürlich ethisch und ethnisch) einwandfreien Luxusliner namens
„bundesdeutscher Mehrheitsgesellschaft“ nicht zusammenkracht. Was
tun, wenn etwa „muslimisch“ geprägte „Deutschtürken“
allen „Integrationsbemühungen“ trotzen? Und ihre Verbands-,
Kultur,- und Religionsrepräsentanten – wie die Kommentatorin
entrüstet notiert – schon Protest-Kampagnen „entfesseln“,
wenn es nur darum geht, vor der Einreise von „Importbräuten
aus der Türkei“ einen „kleinen Sprachkurs“ zu verlangen?
Angesichts
solcher Renitenz eines „Milieus“, das sich durch massenhaften
Bräute-Import hinlänglich verdächtig macht, sich
hierzulande unter Mullah-Führung hemmungslos ausbreiten zu
wollen, sei hinfort „falsche Toleranz“ wohl fehl am Platz, kann
man aus Mönchs Eloge schließen, und auch dem
begriffsstutzigstem FAZ-Abonnenten dämmert nun, warum: Es geht
ums Ganze. Um die Zukunft der deutschen Nation. Und weil „die
Mehrheit keine Sprache für diese Bedrohung hat“, wie Mönchs
Chef Frank Schirrmacher meint, übernimmt eben er als
ausgewiesener Sprachvirtuose selbst das Wort. Unter dem Alarmruf
„Junge Männer auf Feindfahrt“ greift er, ebenfalls am 15. 1.
08, das „eskalierende Phänomen“ seiner Redakteurin im
Feuilleton auf und befindet, daß „die
Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem
Fundamentalismus“ potentiell das sei, „was heute den tödlichen
Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten kommt“.
Ergebnis: Schirrmachers Warnung vor den kulturfremden Archaikern
löste im nationalbewussten Unterbau des Medien-Milieus solchen
Jubel aus, daß sie prompt als ungekürzter Nachdruck in
„Bild“ ihren Weg bis an den letzten Provinz-Stammtisch fand.
Der
hier wenige Tage vor dem Wahltermin demonstrierte Gleichklang von
Elite- und Straßenjournalismus blieb nicht ohne Folgen.
Zumindest unter Teilen der aufgeschreckten Millionen-Leserschaft
kursierte von der Eckkneipe bis zum Seniorenstift mehr denn je die
beunruhigende Frage: Wie läßt sich in der Praxis „falsche
Toleranz“ durch „richtige Maßnahmen“ersetzen, wenn es um
fundamentalistisch befeuerte Fremdengefahr mit tödlichem
Gewaltpotential geht?
Soll
man – Variante Eins – gegenüber der sichtbaren
Eisbergspitze, also den Akut-Fällen, ein Koch`sches
Null-Toleranz Konzept favorisieren – also einsperren, abschieben,
zwangsumerziehen – , und sich im Übrigen darauf vorbereiten,
den vorläufig noch unsichtbaren Rest im Rahmen allfälliger
Wertberichtigungsmaßnahmen nach und nach wegen
kulturell-religiöser Qualitätsmängel als irreparable
Defekt-Existenzen auszugrenzen?
Oder
– Variante Zwei – läßt sich das Problem Moslem lösen,
wenn man die eruierten Defizite durch das bereits benannte
Instrumentarium wie mehr Bildungshilfen, mehr Jobangebote,
kostenfreie Studienplätze etc. soweit abbaut, daß selbst
Checker-Deutsche das defizitfreie Kulturniveau von deutschen
„Meinungsbildnern“ wie Mönch und Schirrmacher erreichen?
Falsche
Informationen statt „falscher Toleranz“
Indessen:
Nach Lektüre der FAZ-Arbeiten – und anderer gleich
sprachlicher Eleganz – dürften selbst bisherigen Befürwortern
der sympathischen Variante Zwei Zweifel kommen. Wirft sie doch die
peinigende Frage auf, ob abendländisch-christliche Erziehungs-
und Bildungsstandards wirklich genügen, um friedliche
Integration und/oder Koexistenz unterschiedlicher Kulturen zu
garantieren. Denn ein Problem scheint ungelöst:
Wie
schützt sich die gebildete „Zivilgesellschaft“ vor
deutschsprachigen Kampagnenjournalisten, die ihr Quellenmaterial
solange durch die Rhetorik-Mühle drehen, bis der Leser kaum mehr
als eine Pranger-Polemik gegenüber Randgruppen und Minderheiten
erkennen kann? Die 1973 selbstauferlegten publizistischen Grundsätze
des Deutschen Presserats schieben dem jedenfalls keinen Riegel vor.
Denn obwohl dort unter Paragraph 10 bis 12 seit 1973 festgeschrieben
ist, daß „Veröffentlichungen,
die das sittliche oder religiöse Empfinden von Personengruppen
nach Form und Inhalt wesentlich verletzen können, mit der
Verantwortung der Presse nicht vereinbar sind“ und diese angehalten
ist, tunlichst auch auf „eine unangemessen sensationelle
Darstellung von Gewalt und Brutalität zu verzichten“,
scheinen diese Kriterien inzwischen außer Kraft gesetzt.
Jedenfalls läßt sich schwerlich behaupten, daß sie
in der laufenden Debatte über Jugend- und Ausländergewalt
noch irgend eine Rolle spielen. Und dies nicht nur im Unter- sondern
– wie zu zeigen war – auch im Überbau des Gewerbes.
Schlimmer
noch: Was – wie etwa bei Mönch – in der „Debatte“ zu
Papier gebracht wurde, stimmte schon im Hauptpunkt nicht. Die
auffallende Delinquenz von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
gibt es zwar, doch „eskaliert“ sie nicht. Im Gegenteil: Alle
kriminologischen Studien weisen aus, daß Ausländer zwar
unter jungen Serientätern überrepräsentiert sind,
insgesamt jedoch die Gesamtzahl jugendlicher Gewalttäter sinkt
und der Anteil solcher Täter aus Migrantenkreisen sogar
überproportional abnimmt.
Doch
trockenes Zahlenwerk imponiert nicht, wenn man gerade mal wieder aus
Opportunitätsgründen beim Thema „Sicherheit“ dabei ist,
im Rahmen einer Medienkampagne gegen Minderheiten zu Felde zu
ziehen. Und dabei die altbewährte Reporter-Methode nutzt, aus
der Zielgruppe jeweils entweder die Dümmsten, die
Skrupellosesten oder Radikalsten vor das Mikrophon oder die Kamera zu
zerren bzw. ins Visier zu nehmen, um verdächtige „Milieus“
mit „eskalierenden Phänomenen“ so zu charakterisieren, daß
sich die Generalanklage oder der Notruf nach mehr Kontroll- und
Sicherheitsgesetzen quasi zwangsläufig ergibt.
Damit
kein Mißverständnis auftritt: Daß es im Zuge der
Migration ernste Probleme gibt, soll nicht geleugnet werden. Da wäre
unter Stichworten von A wie Abschottung bis Z wie Zwangsehen jede
Menge zu sagen. Doch darum geht es hier nicht – hier interessieren
die journalistischen Tricks, mit denen in der aktuellen Diskussion
zum Thema Jugendgewalt anhand vorhandenen Extrem-Materials gleich
eine ganze Bevölkerungsgruppe in Sippenhaft genommen wird,
um massenmedial Stimmung für ein bestimmtes Parteiprogramm zu
machen. Und dies so konsequent, daß auf dem Höhepunkt der
Kampagne der SZ-Leitartikler und Rechtsexperte Heribert Prantl über
die laufende Debatte befand, dass sie ihm Angst mache – nicht nur,
weil sie „über die Stränge“ schlage, sondern zu einer
Kampagne der „Anti-Aufklärung“ verkomme. Nur: Zur Vernunft
rufende Stimmen wie die Prantls waren selten und das Panik-Getrommel
zeigte Wirkung.
Die
Medien – Sprachrohr von Volkes Stimme?
Denn
dort, wo man die Tagespresse nur allzu gern als Spiegel von Volkes
Stimme begreifen wollte, also in den gegenwärtigen
Mehrheitsfraktionen der Parlamente, stand die Stimmung dank
Schirrmacher und Co. mal wieder an jenem Siedepunkt, der alles
möglich machen kann. Wäre in Land- oder Bundestag zu diesem
Zeitpunkt über Kochs Pläne zu befinden gewesen, spricht
viel dafür, daß man dort statt Abgeordnete auch dressierte
Meerschweinchen hätte hinsetzen können, um bei der
Gesetzgebung zu Abnickquoten im Sinne Kochs zu kommen.
Doch
kam es, wie man weiß, anders: Nicht Parlamentarier, sondern
hessische Wähler hatten am 27. Januar das letzte Wort. Und weil
die nicht so dumm sind, wie manch Politiker gerne glauben möchte
und zudem in der Mehrzahl von Existenzsorgen umgetrieben werden, die
nichts mit sogenannten ausländischen Gewalttätern, viel
aber mit inländischen Lohndumpings, Entlassungswellen und
Rentenkürzungen zu tun haben, senkte der Souverän zur
Verwunderung unserer FAZ-Meinungsbildner und Unionsparteien den
Daumen über Kochs Pläne. Ein gelinder Schock, zumal wider
Erwarten ausgerechnet in dieser Situation statt einer satten
Koch-Mehrheit die geschmähte „Linke“ ins Parlament gewählt
wurde.
Darf
damit vermutet werden, daß die Scharfmacher-Fraktion im
Mediengebewerbe angesichts der überraschenden Kampagnen-Schlappe
zukünftig vorsichtiger mit ihren Aufputsch-Mitteln umgeht?
Möglich ist´s – aber nicht wahrscheinlich. Zu sehr ist
die massenmediale Instrumentalisierung von Angst- und
Bedrohungsgefühlen Voraussetzung und Grundlage der
Geschäftsidee, mit „bad news“ am Kiosk oder Bildschirm
Quote, also Kasse zu machen. Und weil speziell beim Thema Sicherheit
nicht nur die Medien, sondern auch alle anderen Mitspieler von
zuspitzender Panikmache profitieren, sei es in Form von mehr
Planstellen, mehr Macht oder mehr Renommee, spricht viel dafür,
daß an der Erschließung neuer Zwietrachtquellen und
Ortung von Zielgruppen mit skandalisierbarer „Gefährderpotenz“
längst gearbeitet wird. Ein Trend, der sich übrigens schon
am Münchner- U-Bahn-Raubüberfall festmachen läßt:
Denn
die gerade ins Amt eingetretene neue Führungsmannschaft der
Münchner Abendzeitung unter Gunnar Jans und Georg Thanscheidt
nutzte den Fall, um ihrer Branche mal zu zeigen, wie neue Besen
kehren, wenn es gilt, mit beflissenen Aufmacher- Titeln dem harten
Anti-Raucher-Kurs Bayerns zu sekundieren. Weil – wie bereits
erwähnt – die Münchner Täter in der U-Bahn rauchten
und ihrem Opfer vor der Attacke provokant Qualm ins Gesicht bliesen,
prangte am Tag darauf in fettestem Schwarz die folgende,
seitenbreite Schlagzeile auf Seite 1: “Raucher
prügeln Nichtraucher halb tot”.
Wenngleich
schon am nächsten Tag die AZ wie alle anderen Blätter auf
die Generallinie „ausländische Prügel-Jugendliche“
einschwenkte, heißt das nicht, daß damit die Raucher in
diesem Blatt aus der Schußlinie sind. Weit gefehlt. Die
groteske Diskriminierungskampagne gegen eine bis dato als ehrenwert
geltende Konsumentengruppe geht mit Schlagzeilen weiter, die zwar
kompletter Unsinn sind, dafür aber dem auf staatliche
Bevormundung getrimmten Ordnungssinn des deutschen Spießers
schmeicheln. Nachdem die Terror-Qualmer aus den U-Bahn-Spalten
verschwunden sind, tauchen sie jetzt laut AZ an noch explosiveren
Tatorten auf: Jüngste Meldung im Lokalen (weil ein Räuber
neben Geld auch ein Päckchen Zigaretten mitgehen ließ):
„Raucher überfällt
Tankstelle“. >>zuruck>>
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