Texte von Edwin Scharff
über das künstlerische Schaffen
 

 

 

1919

Ist es möglich, über das künstlerische Schaffen etwas wirklich wesentlich Neues zu sagen - so verschiedenartig, dass es ausgesprochen wurde - war es nicht immer dasselbe?
Das Schaffen des Künstlers ist doch wohl nur eine Aussprache, eine Auseinandersetzung mit dem ursprünglich Sinnlichen, dem zwanghaft Irdenen. Vom Denkenden aus ist die Welt ein Symbol, ein Ausdruck.
Wirklichkeit wurde durch Lebenswillen, durch sichtbar-, greifbar-werden-wollen der Idee zum vegetativ Körperlichen. Mit dem Schöpfungswillen war auch der Künstler - aber seine Entwicklung ist mit seinem Sein noch nicht zu Ende. Es treibt ihn über sich hinaus wieder zur Schöpfung - aber jetzt ohne irdenen Zweck, ohne sinnliche Hinfälligkeit - nicht mehr vom Geist zur Materie. Er unterscheidet zwei Teile. Der erste Teil ist Sein, Leben. Der zweite Teil Erkennen, Schaffen. Was ihm das Leben in seinen Formen zu schauen gegeben, was er ihm abgerungen hat - durch Erfahrungen fühlsam - was ihm den Sinn seines Seins gedeutet und verständlich gemacht, - richtiges Erkennen der Idee der Irdenheit-Erhaltung und Errettung von Geist-Sein, Psyche-Sehnsucht, Mitteilung ist jetzt Zweck. Klärung - Reinigung vom Unwesentlichen - Hin-fälligen ist jetzt Aufgabe. Der physische Sinn des Seins gibt die Materie, die durch psychisches persönliches Leben Ausdruck wird - beides gibt die Form. Der erste Teil ist heillos-nutzlos. Erleben im zweiten Teil ist Menschwerdung. Darin schaffen in irgend einer Art bedeutet Künstler sein.
Also - von der Stärke der Empfindung, der Weite, Höhe und Tiefe seines Himmels, von der Eigenheit seiner Erlebnisse, von dem erkennenden, ordnenden, klärenden Sinn und dem, was die Natur dem Künstler sozusagen in die Hand gegeben, hängt der Wert seines Werkes ab.

Edwin Scharff über das künstlerische Schaffen, in: Kurt Pfister: Edwin Scharff, in: Der Cicernne, Jg. 11
1919, 5. 802; Edwin Scharff über das künstlerische Schaffen, in: Kurt Pfister: Edwin Scharff, Leipzig i920
(Junge Kunst, Bd. 10), 5. 8 f.; Edwin Scharff, in: Schöpferische Konfessionen, Berlin 1920 (Tribüne der
Kunst und Zeit, Bd. 9, hrsg. von Kasimir Edschmid), 5. 68 f.

 

 

   

 

 

 

1929

Aber alles hängt ab von der Stärke der Empfindung des Gestaltenden, von der
Weite, Höhe und Tiefe seines Himmels, von der Eigenart seiner Erlebnisse, von
dem erkennenden, ordnenden, klärenden Sinn und dem, was die Natur dem
Künstler sozusagen in die Hand gegeben.

In: Paul Ortwin Rave: Deutsche Bildnerkunst von Schadow bis zur Gegenwart. Ein Führer zu den Bild-werken der Nationalgalerie, Berlin 1929, 5. 219


 

     
 
 

 
1930 - Über moderne Plastik

Mit dem Wort ,,Bildhauer“ verbindet sich die Vorstellung eines in der Werk-statt handwerklich Tätigen. Manche Bildhauer bezeichnen sich gern bescheiden als Handwerker. Wir hören oft: die Kunst kommt aus dem Handwerk. Das ist ungenau und deutet nach rückwärts. Die Kunst kommt aus der Idee, aus der Phantasie. Nur um das Formerlebnis Gestalt werden zu lassen, sind uns die Hände Werkzeug. Eben zeigt die Ausstellung eines ausländischen Bildhauers (Dossenna) in Berlin, was nur handwerkliches Können, ohne Erlebnis aus der Natur, hervorbringen kann. Diese Werke zeigen vollendetes, raffiniertestes Handwerk. Um den Kontrast zu geben, vergegenwärtigen Sie sich eine vorgeschichtliche Einkratzung oder eine der sogenannten Venus-Torsi dieser Zeit, und es zeigt sich, dass Ausformung menschlichen Fühlens selbst bei mangelhaft handwerklichem Können entscheidender ist als leeres, noch so vollendetes Handwerk. Diese allerersten Bildungen menschlicher Phantasie, das erste Er-fühlen der Natur, Formung ihrer Umrisse und Wölbungen, zeigen auch, dass am Anfang Dinge bilden freies Schaffen war, dass die Kunst erst später dienend wurde, dass die freie Kunst, nur um ihrer Existenz willen geschaffen, wenn wir Geistiges anerkennen wollen, auch berechtigt ist.
Wie die Malerei, die sich für die Fläche entschieden hat, hat sich die Plastik für die Dreidimensionalität entschieden, mag die Oberfläche eine offene oder geschlossene sein. Hildebrand, Abschluss der letzten Epoche deutscher Plastik, deren Mittelpunkt zu Beginn des 19. Jahrhunderts liegt, spricht vom Sehbild und vom Quälenden des Kubischen. Wir haben uns anders entschieden. Rodin, Anbeginn des Heutigen, hat es erfühlt, mag es oft auch nur fragmentarisch sein. Die Lösung liegt betont im Dreidimensionalen, ob es ein gehauenes oder ein geknetetes Bildwerk ist. Wir sind betont für das Relief und für die Rundplastik. Wir wollen fühlen, was die Dinge an Raum fordern, was sie an Raum verdrängen.
Mit der Gewinnung des künstlerischen Individualismus ist der Zusammenhang mit dem Volksganzen verlorengegangen. Nur noch für das Zweckhafte, das Nützliche wurde eine gemeinschaftliche, eine allgemein verständliche Form gefunden. Allgemeines, uns Bindendes, Uniformelles vieler Art haben wir genug. Freuen wir uns, dass noch Individuelles am Leben ist.
Wer seine eigene Weise auf eigenem Instrument spielt, kann nicht verlangen. dass es allgemein verstanden und gewürdigt wird, am wenigsten in einer Zeit. welche auf der einen Seite nur im Aktuellen und auf der andern Seite nur im Repräsentativen lebt. Tatsache ist, dass diejenigen, die hier durch ihre Werke von ihrem Menschentum zeugen, so dicht auch der Nebel um sie liegt, von ihrer Aufgabe erfüllt sind und es auf sich genommen haben.

In: Die Kunst, Bd. 61/1, Heft 8, München, Mai 1930, S. 262 (Auszug aus der Rede, die Edwin Scharff bei der Eröffnung der Plastikausstellung der Berliner Sezession, 1930, hielt)

 
       
 
 
1948

Stil zu haben ohne Gewaltsamkeit ist die größere Kunst. (16. 3. 1948)

In: Juliane Roh: Deutsche Bildhauer der Gegenwart, München 1957 (Das kleine Kunstbuch, hrsg. von Berthold Fricke), S. 22

 
       
 

 

  Um 1950

Es hat bestimmt auf die Bildung meines Wesens entscheidenden Einfluss gehabt. dass ich so jung den Pferden begegnete. - Auf dem Rücken eines Pferdes wird man erzogen, bekommt man Haltung. Reiten ist Ausdruck einer Gesinnung. Ausdruck einer geistig-seelischen Aristokratie. Von jeher war der Reiter ein Sinnbild der Freiheit und Erhabenheit. Der Evangelist Johannes sieht in seiner Apokalypse Christus als königlichen Herrscher auf einem weißen Pferd. Ich liebe gewiss auch Hunde, doch bleiben sie bei aller Anhänglichkeit, bei allem Gehorsam immer selbständige Wesen. Die völlige Selbstaufgabe, die wunder-bare Unterordnung unter den Willen des Menschen besitzt von allen Tieren nur das Reitpferd. Es gibt unter dem Reiter seine ganze Freiheit hin, ohne den Stolz zu verlieren. - In der klassischen Kunst ist diese Harmonie mehrfach gestaltet worden. Denken wir an Marc Aurels Reiterstandbild oder an die Werke Donatellos, Verrocchios. Pferd und Reiter sind hier eins. Diese dynamische Einheit zum Ausdruck zu bringen, ist auch eins meiner künstlerischen Ziele
Solange ich arbeiten werde, wird mich dieses Thema immer wieder auf neue Weise beschäftigen.


In: : Internationale Revue für Sport und Gesellschaft, Oldenburg, Mai 1956, 5. 25

 
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